Dr schnällscht Wäg nach Worb?

 

Die Diskussionen zum allerersten Blogeintrag machen es deutlich: Viele Worblentaler/innen fragen sich, warum ausgerechnet sie noch mit den «Mandarinli» vorlieb nehmen müssen, während die Fahrgäste der anderen RBS-Bahnlinien deutlich modernere und komfortablere Züge haben. Da hilft dann auch die Begründung nicht, dass die Fahrzeuge damals die modernsten der Schweiz waren. Auch nicht die Hinweise auf den sehr dichten Fahrplan oder die Nachrüstung der Züge mit Niederflurwagen. Die Züge sind «Klassiker», aber sie entsprechen nicht mehr den heutigen Erwartungen. Punkt. Die Kritik ist nachvollziehbar, umso mehr, als dass die S7 nicht irgendeine kleine Regionallinie ist. Sondern die nachfragestärkste Linie des RBS, ja sogar der ganzen S-Bahn Bern.  

Warum gibt es diese alten Züge überhaupt noch?

Den Eisenbahnfreund freut‘s, dass er heute noch mit den allerersten echten S-Bahn-Zügen der Schweiz auf der Originalroute von Bern nach Worb fahren kann. Für den täglichen Nutzer sind die Züge aber vor allem zu Stosszeiten keine Freude mehr: Enge Sitzabstände, fehlende Klimatisierung und hohe Tritte zum Einsteigen entsprechen heute nicht mehr den Erwartungen.

Die ersten Mandarinli sind vor 40 Jahren auf die Schienen gekommen, also gleichzeitig wie die allerersten VW Golf. Anders als Autos sind Züge aber sehr langlebig. Während ein Auto in der Schweiz im Schnitt nach 8 Jahren verschrottet wird, sind Züge in der Regel 40 Jahre und mehr im Einsatz – dies aus finanziellen und aus technischen Gründen: Denn Eisenbahnfahrzeuge sind viel robuster gebaut als Autos und nicht zuletzt deshalb auch viel teurer.

 

Warum werden die Mandarinli nicht früher ersetzt?

Die ältesten Mandarinli aus den Jahren 1973/74 sind teilweise bereits ersetzt und ausrangiert worden. Jene der zweiten Bauserie von 1977/78 müssen noch bis zum Ende dieses Jahrzehnts fahren. Die dann anstehende Ablösung wird bereits jetzt vorbereitet. Eine Zugbeschaffung ist ein ziemlich langwieriger und komplexer Vorgang. Nicht nur, dass wir unsere Züge nicht «ab der Stange» kaufen können, eine solche Beschaffung muss auch von Bund und Kanton abgesegnet sein. Denn Bund und Kanton bestellen bei uns das Angebot und kommen für die Kosten auf, die wir nicht mit Billetteinnahmen decken können. Das heisst im Umkehrschluss auch, dass wir mit diesen öffentlichen Geldern haushälterisch umgehen müssen (und wollen) und ein Fahrzeug, das noch zuverlässig fährt, bis zum Ende seiner Lebensdauer einsetzen.

Warum wurden die Mandarinli nicht aufgerüstet?

Es ist üblich, dass Züge nach etwa der Hälfte ihrer Lebensdauer, d.h. nach rund 20 Jahren, umfassend erneuert werden. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Secondas, die in den letzten Jahren von unserer Werkstatt in Worb aufgefrischt wurden: Neben einer technischen Hauptrevision wurde das Interieur erneuert, eine Klimaanlage eingebaut und das triste, ausgeblichene Grau wich einem leuchtenden Orange.

Bei den Mandarinli fand diese Auffrischungsphase vor rund zehn Jahren statt: Mit neuen Niederflur-Mittelwagen, besserer Fahrgastinformation, aufgefrischtem Innenraum sowie einer Neulackierung im neuen Orange. Die Nachrüstung mit einer Klimaanlage wurde seinerzeit aus Kostengründen verworfen: Neben grösseren konstruktiven Anpassungen im Fenster- und Dachbereich wäre für diese Klimaanlagen eine leistungsfähige Stromversorgung mit neuen Stromrichtern erforderlich gewesen, was fast einen Teilneubau der Fahrzeuge erfordert hätte.

 

Warum fahren die Mandarinli ausgerechnet auf der S7?

Die Gründe, weshalb wir beim RBS die Mandarinli auf der S7 einsetzen, vermögen vielleicht nicht alle zu befriedigen. Sie sind aber erklär- und auch erfahrbar. Die Mandarinli sind relativ schwach motorisiert, die Beschleunigung ist verglichen mit den anderen RBS-Triebzügen deutlich langsamer.

Auf der S7 fällt diese schwächere Motorisierung nicht gross ins Gewicht, geben doch die Kreuzungsbahnhöfe Boll-Utzigen und Bolligen den Fahrplan vor. Auf der S8 ist das bessere Sprintvermögen der Secondas aber nötig, um den Fahrplan einhalten zu können: Mit den Mandarinli wäre ein durchgehender 15-Minuten-Takt Bern-Jegenstorf nur mit zusätzlichen Zügen und somit mit zusätzlichen Betriebskosten möglich.

Auch auf der S9 ist das spritzigere Fahrverhalten der Secondas ein grosser Vorteil. Die S9 bedient die beiden Bahnhöfe Tiefenau und Felsenau im «Nadelöhr» zwischen Worblaufen und Bern. Mit dem bessere Beschleunigungsvermögen können diese Züge auf dieser Linie besser mit den übrigen «mitschwimmen»: Kleinere Verspätungen – z.B. wegen einer verzögerten Abfahrt im Bahnhof Tiefenau – können so schneller aufgeholt werden. Hinzu kommt, dass die S9 von sehr vielen mobilitätsbehinderten Fahrgästen benützt wird – das Spital Tiefenau und die Schulungs- und Wohnheime Rossfeld befinden sich ganz in der Nähe der Station Tiefenau. Diesen Fahrgästen bieten die Secondas mit 100 % Niederflureinstiegen und grossen Stehplatzzonen eine echte Erleichterung für ihre tägliche Mobilität.

Warum fahren ab und zu Secondas auf der S7?

Unsere «Seconda-Flotte» zählt elf Züge. Wochentags benötigen wir acht Züge für die S8 und S9. Die verbleibenden Fahrzeuge werden soweit verfügbar und betrieblich machbar auf den Verdichtungszügen der S7 (Bolligen ↔ Bern) eingesetzt.

An Wochenenden nutzen deutlich weniger Fahrgäste den RBS. Gewöhnlich fahren wir dann nur mit «kurzen» Zügen und benötigen nur fünf der elf Secondas für S8 und S9. Wir könnten die sechs verbleibenden Secondas natürlich im Depot lassen und die S7 auch an Wochenenden nur mit Mandarinli fahren. Dies wäre betrieblich wesentlich einfacher und wird deshalb von anderen Bahnen auch so gehandhabt.

Wir sind aber der Meinung, dass wir dann, wenn es ohne grosse betriebliche Aufwände möglich ist, diese deutlich moderneren Fahrzeuge nicht im Depot verstecken sollten. Unsere Fahrzeug-Einsatzpläne sehen deshalb vor, dass an Wochenenden auch auf der S7 Secondas eingesetzt werden. Dabei kann es Ausnahmen geben: Da die S7 grundsätzlich vom Depot Worb her betrieben wird, die Secondas aber in Worblaufen stationiert sind, erfordert der Wochenendeinsatz der Secondas auf der S7 jeweils einen Abtausch der Züge am Freitag. Kommt hier etwas dazwischen, etwa wenn Secondas für grössere Instandhaltungsarbeiten oder wegen einer technischen Störung in der Werkstatt sind oder wenn die S8 mit längeren Zügen gefahren werden muss («Slow-up Buchibärg» resp. Weihnachtsverkauf) bleibt es beim Mandarinli-Einsatz.

Zum Schluss die beste Nachricht

Die Ersatzbeschaffung für unsere Mandarinli ist nicht nur aufgegleist, sondern bereits angelaufen! Ziel ist es, ab 2018 resp. bis 2020 alle Mandarinli auf der S7 mit modernen, neuen Zügen ersetzt zu haben.

In einem ersten Schritt gilt es, in einem sogenannten Pflichtenheft das künftige Fahrzeug funktional zu beschreiben. Wir stehen am Beginn dieser Phase und werden in Kürze alle Interessierten zum Mitdenken und Einbringen ihrer Ideen einladen … Mehr dazu demnächst (auch) auf diesem Kanal!

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